Herr Wohlfarth von Alm, wie kommen Sie morgens zur Arbeit?
Wohlfarth von Alm: Mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Personennahverkehr, manchmal auch in Kombination.
Wie werden die Berliner in 25 Jahren in ihrer Stadt unterwegs sein?
Wohlfarth von Alm: Sie werden im Großen und Ganzen kaum anders unterwegs sein als heute.
Die Entwicklung des Verkehrs bis zum Jahr 2032 wird von zahlreichen gesellschaftlichen, ökonomischen, stadtstrukturellen und technischen Faktoren bestimmt, deren Einfluss sich überlagert: Die Einwohnerzahl von Berlin wird gleich oder etwas geringer sein als heute, das Durchschnittsalter der Berliner deutlich höher, insbesondere der Anteil der Altersgruppen mit mehr als 65 Jahren hat stark zugenommen, die Zahl der Kinder und Jugendlichen wird dagegen viel geringer sein. Die Verteilung der Bevölkerung in der Stadt wird sich von der heutigen deutlich unterscheiden, insbesondere in den Großwohnsiedlungen werden weniger Menschen leben.
Die Arbeitswelt verändert sich. Die Wirtschaftsstruktur in Berlin wird 2032 durch die Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft bestimmt. Im Berufsverkehr dominieren daher die individuellen, unregelmäßigen und dispersen Wege. Der traditionelle Berufsverkehr, der morgens an den Schreibtisch oder in die Fabrikhalle und abends an den Wohnort zurück führte, ist geringer geworden.
Schließlich liegen die Preise des Verkehrs durch wesentlich höhere Energiekosten weit über denjenigen in 2007. Die technische Entwicklung und die hohen Kraftstoffpreise haben effizientere Autos auf den Markt gebracht, ein Teil der Kraftstoffe basiert auf Biomasse. Durch Telematik kommunizieren bereits etliche Autos miteinander. Wenn der Abstand zum Vorausfahrenden zu gering wird bremsen die Autos automatisch. Auf Tempovorgaben an Unfallschwerpunkten reagiert das Auto selbstständig. Daher sinkt die Zahl der Unfälle und ihre Schwere.
In der Innenstadt werden 2032 weit mehr Wege mit dem Fahrrad als mit dem Auto zurückgelegt. Bikesharing ist ? wie Carsharing ? ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Verkehrs. In welchem Umfang Berlin im Jahr 2032 den traditionellen Bus-, Straßenbahn- und U-Bahnverkehr anbieten wird und welche Tarife dann gelten werden, hängt schließlich ganz entscheidend von der Entwicklung der Steuereinnahmen und der künftigen Verteilung zwischen Bund und Ländern ab. Durch die demografische Entwicklung ist ein Rückgang des Steueraufkommens wahrscheinlicher als ein Anstieg, zugleich sind höhere Ausgaben für soziale Aufgaben zu erwarten.
Und wo werden die Berliner bevorzugt wohnen?
Wohlfarth von Alm: In der Stadt gibt es ein großes und preisgünstiges Wohnungsangebot. Andererseits ist die durchschnittliche Haushaltsgröße seit 2007 gesunken. Die veränderte Altersstruktur hat zu einer stärkeren Nachfrage nach Wohnungen in der Innenstadt und in den bezirklichen Zentren geführt, da hier die täglichen Wege bequemer, kürzer und preisgünstiger sind.
Heißt das, dass bei der Zersiedlung des Berliner Umlandes eine Trendumkehr in Sicht ist?
Wohlfarth von Alm: Ja, der Wanderungsverlust der Stadt Berlin an ihr Umland hat bereits 1998 den Höchststand erreicht, er ist seitdem rückläufig. Zunehmend ist erkennbar, dass Bevölkerungsgruppen aus dem Umland zurückziehen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: das "Elterntaxi" ist sehr zeitaufwändig und teuer, das Schul- und Freizeitangebot in der Stadt attraktiver. Im Jahr 2032 ist deshalb sogar ein Wanderungsüberschuss vorstellbar.
Begeben wir uns in die Gegenwart: Staus, Baustellen, Feinstaub bestimmen die Wahrnehmung der Bürger. Hat Berlin eigentlich ein Verkehrsproblem?
Wohlfarth von Alm: Berlin hat kein gravierendes Verkehrsproblem: Im nationalen und internationalen Städtevergleich verfügt Berlin über eine ausgesprochen hochwertige und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur, die zudem steigende Kapazitätsreserven besitzt. Die nach dem Mauerbau in den beiden Stadthälften unterschiedlichen Stadtentwicklungsvorstellungen haben allerdings strukturelle Unterschiede hervorgebracht, die nach 1990 nicht ausgeglichen werden konnten. Problematisch ist die Erhaltung dieser hochwertigen Verkehrsinfrastruktur. In den vergangenen Jahren waren durch die schwierige Haushaltssituation die wünschenswerten Mittel nicht verfügbar. Das jetzt steigende Steueraufkommen muss zwar vorrangig zum Schuldenabbau eingesetzt werden, die Erhaltungsmittel werden jedoch auch aufgestockt. Die Schadstoffgrenzwerte für den Schutz der Gesundheit, die Reduzierung des Verkehrslärms und die Ziele des Klimaschutzes haben einen sehr hohen Stellenwert in Verkehrspolitik und ?planung erhalten. Die Einrichtung einer Umweltzone für die gesamte Innenstadt und die nächtlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen in lauten Straßenabschnitten sind wirksame Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung.
London hat vor Jahren die City-Maut eingeführt. Andere europäische Großstädte erwägen diese Maßnahme. Wird die City-Maut auch in Berlin kommen?
Wohlfarth von Alm: Berlin verfolgt mit großer Aufmerksamkeit die Diskussion und Praxis in London, Stockholm und anderen europäischen Städten.
Berlin hat jedoch eine andere Stadtstruktur als diese Städte und damit ein weitgehend ande-res Verkehrsaufkommen. Bedingt durch die polyzentrische Struktur der Stadt ist ein Großteil des Kraftfahrzeugverkehrs "hausgemacht", weil in der Kernstadt Berlins ein großer Teil der Bevölkerung des Ballungsraums wohnt. Allein in der Innenstadt von Berlin (sogenannter "großer Hundekopf") leben rund 1 Million Einwohner, bezogen auf die Gesamtstadt beträgt der Anteil des Pendlerverkehrs aus dem Umland weniger als 10%. Langfristig gesehen ist eine stärkere Beteiligung der Nutzer an den Kosten durchaus vorstellbar, vorrangig sehe ich das aber eher im Bereich der Ausweitung der bereits auf Bundesautobahnen eingeführten Lkw-Maut.
Das Stau geplagte Paris möchte schon 2008 "Fahrradhauptstadt" Europas sein und kündigt die kostenfreie Bereitstellung von 20.000 Leihfahrrädern an. Was tut beziehungsweise plant Berlin, um die Zahl der Autos auf den Straßen zu reduzieren?
Wohlfarth von Alm: Seit fünf Jahren sinkt der Kraftfahrzeugverkehr in Berlin. Das ergeben die laufenden Verkehrszählungen. Demgegenüber wächst der Radverkehr in den letzten Jahren deutlich. Diese Entwicklungen bestätigen die Wirkung der verkehrspolitischen Strategie des Senats, die im "verkehrspolitischen Kursbuch", dem "Stadtentwicklungsplan Verkehr", im Jahre 2003 festgelegt wurde. Seither wurden eine Vielzahl der darin festgelegten Maßnahmen umgesetzt, um vor allem das Zu-Fuß-Gehen, das Radfahren und die Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs zu stärken. Hierzu zählt eine detaillierte Fahrradstrategie, ein für den Fahrradverkehr vorgesehenes Budget zum Ausbau der Radverkehrsanlagen und der Fahrradrouten, die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs einschließlich der Fahrradabstellanlagen an Bahnhöfen und die Ausweitung der Fahrradmitnahme. Diese Maßnahmen werden weiter fortgeführt und noch ausgeweitet.
Welche Rolle wird der öffentliche Personenverkehr in Zukunft spielen? Ist ein privatisierter öffentlicher Personenverkehr denkbar?
Wohlfarth von Alm: Berlin verfügt mit der Regionalbahn, der S-, U- und Straßenbahn sowie mit dem Bus über ein aufeinander abgestimmtes öffentliches Verkehrsangebot von sehr ho-her Qualität. Daran wird sich auch künftig ? auch vor dem Hintergrund der eingangs erwähnten Entwicklungen ? im Kern nicht viel ändern. In der Zukunft kommt es darauf an, das öffentliche Verkehrsangebot an die eingangs beschriebenen Entwicklungen anzupassen, damit es eine Alternative zum motorisierten Individualverkehr bleibt. Berlin bedient sich hierzu im Wesentlichen zweier Instrumente: der kontinuierlichen Fortschreibung des Nahverkehrsplans sowie des Abschlusses von Verkehrsver-trägen mit den in der Region tätigen Verkehrsunternehmen. Dort, wo es möglich und sinnvoll ist, wird durch Wettbewerb unter privaten Unternehmen dasjenige ausgewählt, das mit dem besten und wirtschaftlichsten Angebot einzelne Nahverkehrsleistungen durchführen kann.
Welches sind die derzeit geplanten wichtigsten Infrastrukturprojekte für Berlin und sein Umland?
Wohlfarth von Alm: Der Bau des Flughafens BBI als Ersatz für die innerstädtischen Flughafenstandorte Tegel und Tempelhof ist das mit Abstand wichtigste Infrastrukturprojekt in der Metropolenregion Berlin.
Außerdem plant Berlin derzeit den Bau einer Straßenbahn in der Invalidenstraße, um den neuen Hauptbahnhof an das Straßenbahnnetz anzubinden.
Ein weiteres wichtiges Projekt ist die Verlängerung der innerstädtischen Autobahn 100 bis zur Anschlussstelle Treptower Park, um künftig in der Innenstadt den Durchgangsverkehr deutlich zu reduzieren.
Was fällt Ihnen zum Stichwort "Grüne Metropole" ein?
Wohlfarth von Alm: Mit dem Begriff "Grüne Metropole" verbinde ich, bezogen auf Berlin, eine Metropole mit viel Grün und einem lebenswerten Ambiente. Berlin zeichnet sich wie keine andere Metropole durch seine großzügige und vielfältige Naturausstattung aus. So sind zum Beispiel rund 17 % der Landesfläche Wälder, über 6 % Gewässer und an den Stadträndern werden rund 6 % der Fläche sogar landwirtschaftlich genutzt. Außerdem verfügt Berlin mit mehr als 2.500 öffentlichen Grünanlagen, Grünzügen und grünen Stadtplätzen über vielfältige Erholungsmöglichkeiten in der Stadt.
Horst Wohlfarth von Alm ist Verkehrsplaner in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Sein Aufgabengebiet umfasst die Konzeption und Prognose des künftigen Hauptstadtverkehrs.
Die Fragen stellte Olaf Strauß, Deutsches Technikmuseum Berlin